Eschschloraque

Über Eschschloraque:

Heute hat ein Streifzug durch Berlin-Mitte vor allem ein Aufgebot an Edelboutiquen und Konsum-Ketten, Kommerz und Konvention zu bieten – auf den ersten Blick. Auf den zweiten ist etwas anders: Hinter den Toren der Rosenthaler Straße 39 lauert im zweiten Hinterhof ein pulsierendes Herzstück authentischer und unberührter Berliner Underground-Kultur, das dafür schlägt, unkonventionelle freie Kunst, Musik und lebendige Eigenart zu erhalten, zu teilen und zu feiern: der Künstlerclub Eschschloraque Rümschrümp.

Derb-metallenen wie geheimnisvoll-erhaben ragt sein Eingang aus den verwinkelten, mit Street Art und Graffiti patinierten Fassaden empor. Stufe um Stufe und die Eisentür hinter sich lassend, eröffnet sich ein schummrig-lebhafter Mikrokosmos, in dem eine unverfälschte Mischung aus Kreativität, Inspiration, Geschehnissen und Begegnungen rumort – mitreißend ungezwungen ist die Dynamik, die durch das charismatische Innere wabert, Vielfalt ihre Energie: Ob Kaffeekaschemme oder Cocktailbar bis in die Morgenstunden, findet hier ein außergewöhnliches Programm mit ausgesuchten Live-Konzerten, Performances, DJ-Nächten und Partys statt, bei dem ein bunt gemischtes Publikum zusammenkommt: ansässige Künstler/-innen, solche der Berliner und der internationalen Kreativszene, Alternative, Kunstbegeisterte, Entdeckungsfreudige, Alt- und Neu-Berliner/-innen. Inmitten des „Mainstream-Chic“ bei um sich greifender Gentrifizierung ist das Eschschloraque ein Refugium freier (Lebens-)Kunst und alternativer Clubkultur, Ort der Begegnung und kreative Produktionsstätte zugleich, wo entsprechend der bewegten Vielfalt alles möglich ist: Oft explodiert die Party ganz unerwartet, zum Sonnenaufgang stolpert die eine oder der andere nach durchtanzter Nacht in den Hof, versackt bei entspannten Bar-Abenden im Sofa oder bleibt in angenehm seltsame Gespräche verwickelt bei Electro-Sounds oder kratziger Bar-Musik an der Theke kleben.

Dass diese Anziehungskraft bereits seit den 1990er Jahren vom Eschschloraque ausgeht, verleiht ihm seinen Kultstatus und zeugt von einer bemerkenswerten Nachhaltigkeit in Zeiten, in denen immer mehr Kulturprojekte weichen müssen ... und das, während Monster über das innere Halbdunkel des Clubs und seinen Cocktailgarten im Hof wachen: Genauer seit 1995, und ja – Monster! Sie sind Kreaturen der in den 1980er Jahren gegründeten Berliner Künstlergruppe Dead Chickens, zwei Mitglieder der Gruppe diejenigen, die das Eschschloraque gründeten und bis heute betreiben. Mit der Erfahrung, unabhängige Projekträume für die Freie Szene zu schaffen und auf der Suche nach einem neuen Ort für die Dead Chickens, stießen sie gleich auf ein ganzes Haus und gründeten mit weiteren erfahrenen Kulturschaffenden den Schwarzenberg e.V. und das unabhängige Kulturhaus Haus Schwarzenberg – genau: auf der Rosenthaler Straße 39, in dessen Kern das Eschschloraque!

Es ist eine der ersten Berliner Underground-Cocktailbars, deren Qualitätsanspruch Maßstäbe setzte. Von Anfang an war es aber auch ein Künstlertreffpunkt im Austausch mit dem Publikum; ein gemeinsamer Experimentier- und Entfaltungsfreiraum, in den sich das Handwerk der Dead Chickens einschreibt. Während der Entwurf phantastisch skurriler Welten, in denen die Statik der Metallkunst durch die Bewegung kinetischer Skulpturen auflebt, eines ihrer Merkmale ist, geht es maßgeblich auf die Dead Chickens zurück, das Organische in die Metallkunst einfließen zu lassen. Sie erweitern die Grenzen roher, scharfkantig-metallener „Hard Art“ zu einem bewegenden, poetisch avantgardistischen Werk – im Eschschloraque zu einem gleichermaßen gemütlichen wie atmosphärischen Begegnungs- und Veranstaltungsort.

Die Offenheit für künstlerisches Schaffen ab vom Mainstream spiegelt sich auch im musikalischen Spektrum wider, das von elektronisch über experimentell bis hin zu Punk, Rock und bisweilen orientalischer Musik reicht. In zusätzlichen Veranstaltungsreihen schreibt sich genau jener Experimentier- und Entfaltungsfreiraum fort. So wird die Bühne bei Bande à Part zu einem experimentellen Gestaltungsfreiraum für junge wie namhafte Künstler/-innen aus der Tanz- und Performanceszene; Live-Konzerte und DJ-Nächte bei MissVergnügen presents bieten immer wieder die Möglichkeit, auf Neues und Außergewöhnliches der Berliner und der internationalen Musikszene zu treffen.

Während man der Welt entrückt bei Kaffee auftankt, das Feierabendgetränk oder eine der Performances genießt, begleiten die charismatischen Mitarbeiter/-innen durch Tag und Nacht. Sie sind selbst in den unterschiedlichsten Kunstbereichen tätig; am einen Tag als mixende/-r Meister/-in hinter der Theke angetroffen, darf man die eine oder den anderen am anderen Abend mitunter selbst auf der Bühne oder an den Turntables bewundern.

Die durch den Künstlerclub wabernde Dynamik ist ein irgendwie nostalgisch-vibrierender Esprit der 90er Jahre, der im Hier und Jetzt authentischen Berliner Undergrounds zeitgenössische, unkonventionelle Kunst und Musik vergegenwärtigt. In Eschschloraques Gegenwart setzt ein Zeitbewusstsein doch sofort aus, wenn sich der Alltag in einem psychedelisch-fluoreszierenden Sog auflöst, im energetischen Rot-Blau der Scheinwerfer und am geisterhaften Grün-Grau der Wände bricht, sich im tiefen Purpur auf der Bühne oder am stählern-organischen Blau-Grau der Bar verflüchtigt, oder im sommerlichen Cocktailgarten als Rast und Erholung im „Urban Gardening“ des Innenhofs aufblüht.

Sich auf diesem Trip einfach treiben zu lassen, ist die Freiheit zum ‚Rümschrümpen‘ – Eschschloraque der eigensinnige, einmal eingeprägte und nicht mehr vergessene Name für den Ort, in dessen Sog man immer wieder abtauchen möchte.

Text Credit: Vera Fischer